Im Sommer 2023 hatte ich die Idee, auf unserer Straße eine Art Mini-Kreislaufschrank aufzustellen. Hier ist viel Platz verfügbar, der überwiegend von ordnungswidrig auf dem Gehweg parkenden Autos verbraucht wird.
Die "Schenkstation" getaufte Konstruktion war eine fahrbare Palette mit einer wetterfesten Gartenbox darauf. Jeder konnte hier nicht mehr gebrauchte Dinge verschenken oder nach etwas Brauchbarem suchen, das jemand anders verschenkte. Außerdem stellte die Schenkstation für den sonst selbstverständlich von Autos beanspruchten öffentlichen Raum eine alternative Nutzungsmöglichkeit dar, die der Gemeinschaft diente.
Bereits nach ein paar Tagen wurde die Schenkstation benutzt. Es fanden sich täglich neue Dinge darin, die dann mehr oder weniger schnell einen neuen Besitzer fanden. Mit der Zeit wurden es sogar immer mehr, bis auch größere Gegenstände (neben der Box) "vermittelt" wurden.
Von zahlreichen Nachbarn und Passanten bekam ich positives Feedback, was ich sehr schön fand! :-) Tatsächlich war ich positiv überrascht, wie viele Menschen das Projekt nutzten und befürworteten.
Wir haben hier in München-Harlaching überraschend viel Kriminalität - zerkratzte Autos, abgetretene Spiegel, zahlreiche geklaute Fahrräder, und einmal hat sogar jemand eine ganze Baustelle angezündet. Die Schenkstation war natürlich keine Ausnahme - bereits in der zweiten Woche versuchte jemand, die Box zu stehlen. Glücklicherweise schritt ein beherzter Mitmensch ein und fotografierte das Autokennzeichen des Täters, der daraufhin von seinem Vorhaben Abstand nahm.
Versuchter Diebstahl ist eine Straftat, daher habe ich natürlich Anzeige erstattet. Der obige Zeuge hatte mir das Kennzeichen und sogar ein Foto seines Personalausweises zur Verfügung gestellt. Die Reaktion der Staatsanwaltschaft:
Ein paar Tage später klingelte eine Nachbarin bei uns und drohte mir, ich solle die Schenkstation entfernen, sonst gäbe es "Konsequenzen". Auch versuchte jemand, sie einfach wegzuschieben, kam allerdings wegen der zu diesem Zweck blockierten Räder nur bis zur anderen Straßenseite. Ein weiterer Nachbar, der unerkannt bleiben wollte, räumte mehrmals die Schenkstation aus und legte uns die Sachen vor die Haustür.
Wiederum etwas später erhielt ich dann eine E-Mail vom KVR, die tatsächlich interessant war. Einer der Gegner hatte herausgefunden, dass die Schenkstation eine "unerlaubte Sondernutzung" darstellt:
Sehr geehrter Herr Dr.-Ing. Zieren,
auf Grund von Anwohnerbeschwerden waren wir gestern vor Ort in der _____straße und haben dort Ihren "zu Verschenken"-Wagen entdeckt.
Hierbei handelt es sich um eine sog. unerlaubte Sondernutzung. Nach § 4 der Sondernutzungsrichtlinien der Landeshauptstadt München benötigen alle Sondernutzungen auf öffentlichem Verkehrsgrund eine Erlaubnis. Diese Erlaubnis wurde bei uns nicht beangtragt.
Wir fordern Sie hiermit auf, den Wagen unverzüglich auf Privatgrund zu verbringen, da wir andernfalls den Wagen für Sie kostenpflichtige entfernen lassen müssen und wir gegebenenfalls ein Bußgeldverfahren einleiten müssen.
Es gäbe die Möglichkeit einen sog. Kreislaufschrank zu beantragen, der zum Tauschen oder Verschenken von gut erhaltenen Alltagsgegenständen dient. Sollten Sie daran interessiert sein, so nehmen Sie gerne mit uns Kontakt auf.
Mit freundlichen Grüßen
...
Landeshauptstadt München, Kreisverwaltungsreferat
Eine interessante neue Perspektive, die ich tatsächlich nachvollziehen kann. Man möchte ja auch nicht, dass jemand eine fahrbare Würstchenbude oder einen Stand der Zeugen Jehovas an die Straße stellt. Daher habe ich mit Hilfe einer über 80-jährigen Nachbarin - ich war zu der Zeit nicht in München - die Weisung des KVR befolgt und die Schenkstation entfernt.
Wie der letzte Absatz erwähnt, unterstützt München tatsächlich die Errichtung von Kreislaufschränken an öffentlichen Orten. So ein Projekt geht aber dann doch relativ weit über eine Palette mit Rädern drunter und einer Gartenbox drauf hinaus - soviel Zeit habe ich leider nicht.
Natürlich ist es ein Schildbürgerstreich, die 2,2 Meter, die die Schenkstation ordnungswidrig verbraucht, zu ahnden, während Hunderte Meter, die dutzende Autos ordnungswidrig beparken, zu ignorieren. Das ist in München aber möglich, weil Parkverstöße nicht vom Ordnungsamt verfolgt werden (welches jeder Anzeige nachgehen muss), sondern von der Polizei (die das nicht muss und einfach gar nichts macht).
Inzwischen (Sommer 2025) habe ich wieder Zeit, mich um die Sache zu kümmern. Zusammen mit meinen Söhnen habe ich die Schenkstation in einen Fahrradanhänger umgebaut. Es macht den Kindern großen Spaß, sich von mir durch das Viertel ziehen zu lassen. Sofas, Waschmaschienen, Kühlschränke etc. sind auch kein Problem, selbst ohne E-Bike - München ist ja flach.
Ein Fahrradanhänger an der Straße stellt auch keine Sondernutzung mehr dar, somit parkt die Ex-Schenkstation wieder an ihrem alten Platz, nur mit einer Deichsel und leider ohne die Gartenbox (die wurde 2023 dann doch noch geklaut).
Bereits nach ein paar Tagen hatten wir wieder eine aufgebrachte Nachbarin an der Tür, die versucht hat, auf meinen Sohn einzuwirken. Das ist allerdings ohne sachliche Argumente nicht so einfach :-) Kurz danach hatte ich dann folgenden Zettel im Briefkasten:
Also doch wieder Sondernutzung? Auf Nachfrage gab mir die Polizei den Tipp, einfach ein Fahrrad davorzuspannen, dann wird das gesamte Gespann nämlich wie ein einzelnes Fahrrad behandelt. Daran soll es natürlich nicht scheitern, wird es halt ein bisschen länger:
Warum konzentriert sich die Polizei eigentlich auf ein einzelnes Gefährt, während dutzende ordnungswidrig den Gehweg blockierende Autos nicht nur toleriert, sondern deren vermeintliche Parkplätze sogar noch aktiv verteidigt werden? Ich werde bei Gelegenheit mal bei der Polizei anfragen und die offizielle Begründung hier veröffentlichen. Wenn sie sich trauen, mir die zu verraten.
Auch interessant: Fällt Sondernutzung nicht in den Verantwortungsbereich des KVR? Da werde ich auch mal nachfragen, vielleicht hat sich das ja geändert und wurde der Polizei übertragen.
Für den Fall, dass jemand das Projekt nachbauen möchte, habe ich eine farbig bebilderte Bauanleitung erstellt. Meldet euch gerne bei mir, wenn ich helfen kann.